NEWSLETTER-BEITRAG

Kirchliche Corporate Governance

Kirchliche Corporate Governance

Missbrauch, Finanzaffären und verschiedene Vorwürfe von Intransparenz – die evangelische und katholische Kirche in Deutschland stecken in einer Glaubwürdigkeitskrise. Nicht zuletzt ist diese auf Verfehlungen einzelner Amtsträger und strukturelle organisatorische Defizite zurückzuführen. Eine Professionalisierung der kirchlichen Organisationsstruktur soll verlorenes Vertrauen in die Institution Kirche zurückgewinnen und zukünftige Skandale verhindern – darauf weist u.a. Gordon Sobbeck (Finanzdirektor des Erzbistums Köln) in einem Interview hin.

Motiviert durch die Veröffentlichung des Leitfadens „Kirchliche Corporate Governance“ (CG) im Jahr 2021 durch den Verband der Diözesen Deutschlands (VDD) befassen sich seit einiger Zeit die katholischen Bistümer mit der Frage, wie CG auf das kirchliche Umfeld übertragen werden kann. Es wird nach einem kirchlichen Verständnis von CG gesucht. Eine Deutung bietet der VDD-Leitfaden, jedoch primär bezogen auf die Finanzverwaltung. Zweifellos ist der Finanzbereich besonders wichtig und bedarf besonders klar formulierter Organisations- und Prozessstrukturen. Eine ausschließliche Beschränkung auf diesen Bereich könnte jedoch Potentiale für eine Erneuerung in der Führung kirchlicher Organisationen ungenutzt lassen. Dieser Beitrag schlägt daher ein erweitertes Verständnis von kirchlicher CG vor. Ähnliches sagt die begleitende Pressemeldung zur Veröffentlichung des Leitfadens: Die „Etablierung im Finanzbereich ist dabei ein erster Schritt. Ziel ist es, […] Corporate Governance in allen Feldern der kirchlichen Organisationsführung zu verankern […].“
In evangelischen Landeskirchen stellt man sich ähnliche Fragen: Welche Regelungen braucht es, damit Prozesse korrekt bearbeitet werden können und Rollen klar definiert sind? Wie lässt sich solch ein Rahmen etablieren? Und wie wird solch ein Rahmen zu einem Gewinn und nicht zur Last?

Unter CG lässt sich laut Prof. Dr. Axel von Werder im Allgemeinen ein Ordnungsrahmen beschreiben, um mögliches opportunistisches Verhalten einzelner Akteure in einer Organisation zu verhindern. Entsprechende Rahmenbedingungen zu schaffen, ist Aufgabe der Leitung. Dazu bedient sie sich Methoden und Instrumenten der Organisationsführung, welche entsprechend ISO 9000:2025 (Kap. 3.5.5) auch als „Managementsysteme“ bezeichnet werden. Doch was ist unter einer „kirchlichen CG“ im Besonderen zu verstehen? Welche Konsequenzen ergeben sich daraus für die praktische Einführung? Im Folgenden werden einige Ideen zu diesen Fragen aufgeführt.

Kirchliche Corporate Governance hat das Wohl aller Anspruchsgruppen im Blick

Eine kirchliche CG sollte das Wohl aller Anspruchsgruppen (Stakeholder) im Blick haben, dieses ist Kern des kirchlichen Sendungsauftrags und moralischen Selbstanspruches. In einem marktwirtschaftlichen Kontext hingegen, in dem CG ihren Ursprung hat, ist „Gewinnerzielung“ für die Anteilseigner (Shareholder) weithin das Leitprinzip.

Diesem Verständnis folgend, hätte der VDD-Leitfaden einen beschränkten Fokus auf das Thema Finanzen, wodurch die Interessen der Geldgeber und -empfänger in den Mittelpunkt rücken, aber andere Anspruchsgruppen aus dem Blick geraten könnten. Die im Leitfaden vorgestellten Instrumente beziehen sich auf das Finanzmanagement. Andere Managementsysteme mit Bezug zu den weiteren Anspruchsgruppen in den Bereichen Umwelt, Datenschutz, Personal, Qualität, Dienstleistung etc., werden nicht angesprochen. Viele dieser Aspekte werden aktuell unter dem Begriff „Nachhaltigkeitsmanagement“ in der Kirche diskutiert.

Ein dementsprechend erweitertes Verständnis von „kirchlicher Corporate Governance“ könnte lauten: Kirchliche Corporate Governance integriert die Managementsysteme kirchlicher Organisationen, um entsprechend ihres Sendungsauftrags das Wohl aller Anspruchsgruppen ausgewogen zu berücksichtigen.

Die Einführung einer kirchlichen CG sollte integriert erfolgen

Die Etablierung einer kirchlichen CG sollte eine integrierte Betrachtung aller Bereiche kirchlicher Organisationsführung und der entsprechenden Managementsysteme (IT, Datenschutz, Umwelt, Personal, Finanzen etc.) beinhalten. Dadurch kann die Berücksichtigung aller Anspruchsgruppen sichergestellt werden. Hierfür ist es empfehlenswert, die Projektleitung direkt bei der Kirchenleitung anzusiedeln und nicht z.B. in der Finanzabteilung. Das Projektteam sollte entsprechend interdisziplinär besetzt sein.

Es empfiehlt sich, die Einführung einer kirchlichen CG mit einer komprimierten Stakeholder-Analyse zu beginnen, um die Interessen der Anspruchsgruppen als Ziel- und Ausgangspunkt einer kirchlichen CG zu kennen und zu gewichten. Auf dieser Grundlage können die bestehenden Managementsysteme aufeinander bezogen und integriert werden, um eine ausgewogene Stakeholder-Berücksichtigung sicherzustellen. Mit einem abschließenden Wirkungs-Controlling kann ermittelt werden, ob die Zielerreichung für die Anspruchsgruppen erfolgreich war und entsprechende Nachbesserungen an der CG vorgenommen werden. Außerkirchliche CG-Konzepte wie der Deutscher Public Corporate Governance-Musterkodex sowie der VDD-Leitfaden können als inhaltliche Orientierung dienen, um von dort aus weiter zu denken.

Um der aktuellen Glaubwürdigkeitskrise zu begegnen, bedarf es vielfältiger Veränderungen – neben einer neuen Offenheit und Ehrlichkeit empfahl schon Medard Kehl SJ konkrete organisationale Veränderungen. Die Einführung einer auf die Kirche abgestimmte CG kann solche organisatorischen Defizite beseitigen, opportunistisches Verhalten einzelner begrenzen und so zu einer ausgewogenen Berücksichtigung aller Anspruchsgruppen beitragen. Die Sicherstellung eines regelkonformen Einsatzes von Finanzmitteln ist dabei ein wichtiger Aspekt, jedoch sind auch alle weiteren Managementsysteme einzubeziehen. So kann auf die aktuelle Glaubwürdigkeitskrise eine Antwort durch eine Erneuerung kirchlicher Führung und Organisation auf allen Ebenen gefunden werden.

Dieser Artikel erschien in der Newsletter-Ausgabe 02/2024 vom 26. Juni 2024.

2denare-team-sh
Steffen Hesping

Der Wirtschaftsingenieur war vor 2denare langjährig als Berater in der produzierenden Industrie tätig. An Kirche fasziniert ihn das komplexe Zusammenspiel an Motiven und Interessen der vielfältigen Anspruchsgruppen, welche die Steuerung kirchlicher Organisationen so herausfordernd macht. Zuletzt hat er über den Nutzen zahlenbasierten Controllings für die Pastoral nachgedacht.