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5 Fragen – 5 Antworten. Zur aktuellen Finanzsituation von Kitas in NRW. 

5 Fragen – 5 Antworten. Zur aktuellen Finanzsituation von Kitas in NRW. 

Die Hilferufe aus ganz Deutschland zur Situation der Kindertageseinrichtungen (Kitas) werden täglich lauter. Schlagzeilen über Unterfinanzierungen, Notbetreuungen und insolvente Träger häufen sich. Kirchliche Kitas in Nordrhein- Westfalen (NRW) trifft es dabei gleich doppelt, können sie doch ihren vergleichsweise hohen, selbst zu finanzierenden Trägeranteil immer weniger durch Kirchensteuereinnahmen ausgleichen. Auch in anderen Bundesländern haben Kita-Träger mit sinkenden Einnahmen zu kämpfen: Dass die Evangelische Kirche von Kurhessen-Waldeck (EKKW) ihre Kita-Zuweisungen um ca. 50% kürzen wird, ist als Ziehen einer Reißleine zu verstehen. Vermutlich wird es bald mehr solcher Nachrichten geben.  

Welche Ursachen stecken hinter dieser Krise? Welchen Herausforderungen müssen sich die kirchlichen Träger stellen und wie kann die Zukunft der frühkindlichen Bildung gesichert werden?  

In einem aufschlussreichen Interview mit dem Experten für Kita-Trägerkonzeptionen im kirchlichen Bereich, Dr. Jörn Suermann, werden die aktuellen Probleme der Kitas in NRW  beleuchtet. Dr. Suermann gibt Einblick in die finanziellen Engpässe, den Fachkräftemangel und die spezifischen Herausforderungen kirchlicher Trägerschaft.  

Wenn man derzeit die Zeitung aufschlägt, ist fast täglich von der Unterfinanzierung von Kitas in NRW zu lesen – reihenweise entscheiden sich Träger dazu, ihre Einrichtungen zurückzufahren. Wie konnte es so weit kommen? 

Dr. Jörn Suermann (JS): Die Unterfinanzierung von Kindertageseinrichtungen in Nordrhein-Westfalen (NRW) lässt sich maßgeblich auf die Ausgestaltung des Kinderbildungsgesetzes (KiBiz) zurückführen. Das Gesetz regelt u.a. die Mindeststandards für das Betreiben von Kitas und auch die Refinanzierungs-Bedingungen durch das Land. Diese sind nicht mehr auskömmlich. Erstens haben Kitas in kirchlicher Trägerschaft mit etwa 11% ohnehin einen hohen Eigenanteil zu finanzieren. Zweitens sind in diesem Gesetz die erheblich gestiegenen Sach- und Inflationskosten nicht ausreichend abgebildet. Drittens werden die hohen Tarifsteigerungen der letzten Jahre nicht abgedeckt und sorgen im Zusammenspiel mit dem Fachkräftemangel für eine immer größere Not. Und viertens führt die Vorfinanzierung von Kostensteigerungen die Träger in Liquiditätsengpässe. 

Wie ernst ist die Situation? 

JS: Sehr ernst. Viele kirchlich getragene  Kitas in NRW können kaum noch wirtschaftlich betrieben werden oder sind bereits defizitär. Viele unterschätzen die finanzielle Dimension von Kita-Trägerschaft. Die Millionengrenze ist bereits bei einer mittelgroßen Kita schnell überschritten. Wenn in den letzten Jahren Rücklagen aufgebaut werden konnten, sind diese nun aufgebraucht.  Offene Briefe an NRW-Ministerpräsident Wüst, wie kürzlich von rund 25 Kita-Trägervertretern in Bielefeld, machen deutlich: Es geht um die Existenz! Oft bleibt gar nichts anderes übrig, als den frühkindlichen Bildungsauftrag an die Kommune zurückzugeben, wie zum Beispiel in Unna. Der öffentliche Aufruhr ist dann groß – und die Schuld liegt dann schnell bei der Kirche. Hier braucht es eine sachgerechte Kommunikation: Nicht die Kirche will sich aus der Kita-Verantwortung zurückziehen, sondern Rahmenbedingungen des Landes verhindern den Betrieb der Einrichtung.   

Wenn Kirchenkreise, Gemeinden oder Bistümer nicht als Körperschaft des öffentlichen Rechts (KdöR) formiert wären, sondern als gGmbHs, dann hätte mancherorts schon längst Insolvenz angemeldet und ein Sanierungsverfahren eingeleitet werden müssen.  

Welche Fragen müssen sich Kita-Träger in dieser Situation stellen?  

JS: Fragen der Finanzierung variieren zwar je nach Bundesland, sodass sich mancherorts weiterhin verstärkt auf die Qualität konzentriert werden kann. In NRW und anderswo steht man vor der grundlegenden Frage, ob es sich überhaupt geleistet werden kann, das Zuschussgeschäft Kita – das wird es für Kirchen immer bleiben – zu betreiben. Bei sinkenden Kirchensteuern wird die Beantwortung folgender strategischer Fragen zentral sein: Welche Prioritäten räumen wir Kitas – auch gegenüber anderem kirchlichen Engagement – ein? Wie lässt sich das „Finanzrisiko“ von Kitas minimieren, sodass bspw. nicht ein ganzer Kirchenkreis mit in den finanziellen Abgrund gerissen wird – denn dieser hat im Fall der Fälle Defizite der Kitas auszugleichen. Welche Kitas können wir mit welchem Qualitätsanspruch noch weiter betreiben?  

Leider zwingt die lückenhafte Re-Finanzierung vielerorts dazu, nur den gesetzlichen Mindeststandard zu erfüllen und damit die eigenen Qualitätsstandards abzusenken – eine Personalausstattung über den Mindeststandard wurde von den Kirchen jahrelang unter Qualitätsgesichtspunkten eigenfinanziert. In Verbindung mit dem Fachkräftemangel reagiert die Politik darauf und will die Personal-Vorgaben lockern, um Notschließungen zu verhindern. Ein Dilemma.    

Was ist aus Ihrer Sicht nötig, um das Arbeitsfeld Kita für die Zukunft als kirchliches Arbeitsfeld zu sichern?  

JS: Kita-Träger sollten ihre finanziellen Möglichkeiten genau analysieren. Eine stärkere betriebswirtschaftliche Ausrichtung war in der Vergangenheit weniger notwendig, sodass nun Aspekte wie Kostenmanagement und Controlling noch stärker in den Fokus rücken. Gute Verhandlungen mit den Kommunen sind dabei unersetzlich: Ohne freiwillige Trägerzuschüsse der Kommunen geht es nicht mehr. Die Kirchensteuern reichen nicht aus. Gleiches gilt für den Bau und die Instandhaltung der Einrichtungen. Gegenwärtig werden die Kita-Gebäude überwiegend kostenfrei von den Gemeinden zur Verfügung gestellt – eine Refinanzierung durch das KiBiz-Gesetz bzw. das Land gibt es nicht – Stichwort Eigentümer-Modell Auch hier müssen die Kommunen und das Land unterstützen. Z.B. in dem sie den Bau von Kitas und deren Instandsetzung übernehmen oder das Miet-Modell ermöglichen, Gemeinden also Miete für ihre Gebäude bekommen – so wie es bei privaten Kita-Trägern selbstverständlich ist.  Zudem gilt: Bei den Kirchen selbst liegen in der Trägerschaft und der Administration von Kitas Optimierungsreserven. Auch die müssen gehoben werden. 

Das bedeutet einen notwendigen Paradigmenwechsel, der nicht einfach zu vollziehen und für alle sehr herausfordernd ist. Nötig sind also Veränderungsbereitschaft, Professionalisierung und Mut! 

Apropos: Gibt es denn mutmachende Aspekte? 

JS: Ja! Beeindruckend ist das hohe haupt- und ehrenamtliche Engagement aller Beteiligten. Viele kirchliche Kitas bieten eine hohe Arbeitgeberattraktivität, was sich in geringeren Ausfalltagen und langfristigen Beschäftigungsverhältnissen zeigt. Die Mitarbeitenden sind oft sehr stark intrinsisch motiviert und gehen gerne zur Arbeit, da sie sich in den pädagogischen Konzepten wiederfinden. Diese positive Arbeitsatmosphäre fördert nicht nur die Teamdynamik, sondern trägt auch zur Stabilität und Qualität der Betreuung bei. Zudem sind kirchliche Kitas oft Leuchttürme des kirchlichen Engagements, die durch ihr nachhaltiges und wertorientiertes Handeln einen wichtigen Beitrag zur frühkindlichen Bildung leisten. Allerdings liegt in der hohen intrinsischen Motivation auch eine Gefahr. Die im Gesetz angelegten strukturellen Defizite werden so schnell durch persönliches Überengagement der Mitarbeitenden ausgeglichen. Das darf nicht sein, das geht an die Substanz und Gesundheit der Mitarbeitenden. Ich gehe davon aus, dass der Politik dieser Zusammenhang sehr bewusst ist.  

Zurück zur Finanzierung: Die schwierige Situation bedeutet aber auch nicht, jetzt alle Kitas aufzugeben, sondern „vor die Welle“ zu kommen – also frühzeitig zu agieren, um später nicht nur noch reagieren zu können. Es gilt, neue Trägerkonzepte anzudenken und die Anzahl an Einrichtungen mit der eigenen Finanzkraft und der Unterstützung der Kommunen in Einklang zu bringen.  So können kirchliche Träger weiterhin einen bedeutenden Beitrag zur frühkindlichen Bildung leisten. Hierfür gilt es, den Kommunen auf lokaler Ebene darzustellen, dass es so wie bisher nicht weitergehen kann. Wenn das Geld fehlt, muss nicht nur Kirche Prioritäten und Posterioritäten setzen, sondern auch die Kommune und natürlich auch das Land. Und da ist es von der Politik zu einfach, zu sagen: Wenn wir die Kitas mit einem Zuschuss unterstützen, können wir uns das örtliche Freibad nicht mehr leisten. Die Lösung der Finanzierungsmisere durch das KiBiz kann und darf nicht sein, dass Kirchensteuermittel ungebremst eine Schwarze-Null-Politik des Landes mitfinanzieren sollen.  

Womit ermutigen Sie einen Kita-Träger, der sich der Aufgabe stellen will?  

JS: Ich ermutige die Kita-Träger, ihre langjährige Tradition und ihr Engagement als Leuchttürme des kirchlichen Engagements fortzusetzen. Es ist wichtig und gut, in die Kita-Arbeit Kirchensteuern zu investieren und diese wertvolle Tätigkeit auch in Zukunft fortzuführen. Finanziell schaffen die Kirchen das nicht mehr so wie in den vergangenen Jahren. Es braucht ein neues Bündnis: Land, Kommune und Kita-Träger müssen zusammenarbeiten und faire Lösungen für die anstehenden Probleme finden. Nicht nur Banken sind systemrelevant – Kindertageseinrichtungen sind es auch. 

js
Jörn Suermann

Dr. Jörn Suermann hat in verschiedenen Bundesländern Modelle von Kita-Trägerschaft evaluiert und Bistümer und Kirchenkreise darin begleitet ihren Kita-Bereich zukunftsgerichtet aufzustellen. Kindertagesstätten versteht Dr. Suermann als ebenso systemrelevant wie Banken.