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Spannungsfeld zwischen Seelsorge und Verwaltung in Kirchengemeinden

Spannungsfeld zwischen Seelsorge und Verwaltung in Kirchengemeinden

In den vergangenen Jahren sind Kirchengemeinden zunehmend mit Herausforderungen konfrontiert, die grundlegende Veränderungen in ihren Strukturen erfordern. Ein Personal- und Mitgliedermangel sowie finanzielle Einschränkungen zwingen dazu die seelsorgerische Arbeit und die unterstützende Verwaltung neu zu organisieren. So entwickeln sich in den letzten Jahren veränderte Strukturen als Seelsorgeeinheiten, fusionierte Kirchengemeinden, Gemeindeverbünde oder vergrößerte Kirchenkreise. Hierdurch entstehen neue Spannungen an der Schnittstelle zwischen Seelsorge und Verwaltung, deren harmonisches Zusammenspiel jedoch für die Zukunftsfähigkeit der Gemeinden entscheidend ist. Dieser Beitrag beleuchtet, was es braucht, damit Verwaltung und Seelsorge auch in veränderten Strukturen erfolgreich zusammenarbeiten können.

Das Verhältnis von Seelsorge und Verwaltung

Kirchengemeinden lassen sich vereinfacht in zwei Subsysteme unterteilen: Seelsorge und Verwaltung. Die evangelische Kirche im Rheinland bezeichnet Seelsorge als die „Muttersprache von Kirche“. Die evangelische Kirche in Westfalen beschreibt Sie als „Kernkompetenz und Kernaufgabe von Kirche“ und beschreibt Seelsorge alle Hilfestellungen, die dazu beitragen, dass Menschen Christus als ihren Erlöser kennenlernen und aus dem Evangelium heraus ihr Leben meistern können. Dies schließe Begleitung, Gespräche, Gemeinschaft, soziale Unterstützung und Sakramente ein. Währenddessen ermöglicht die Verwaltung Seelsorge, in dem sie sich um die damit verbundenen administrativen Aufgaben, wie die Bereitstellung von Ressourcen in Form von Finanzen, Personal, Räumen oder Material kümmert. In der Praxis erfüllen diese beiden Bereiche also unterschiedliche Rollen, die jedoch untrennbar miteinander verwoben sind.

Niklas Luhmann, ein bekannter Vertreter der soziologischen Systemtheorie, argumentiert in „Die Religion der Gesellschaft“: Verwaltung agiere nach administrativen Prinzipien der Effizienz und Effektivität, während die Seelsorge Immanenz und Transzendenz fokussiere. Solche Unterschiede erzeugen ein Spannungsfeld, da die Anforderungen und Sprache oft nicht deckungsgleich seien. So basiere pastoral-seelsorgerische Arbeit auf einem Beziehungsgeschehen unter den Menschen und mit Gott, welches sich nur begrenzt rationalisieren und formalisieren ließe.

Herausforderungen im Zusammenspiel

Eine der zentralen Herausforderungen im Zusammenspiel von Seelsorge und Verwaltung ist der Ausgleich unterschiedlicher Anforderungen. Niklas Luhmann beschreibt dieses Spannungsfeld treffend mit den Worten: „Ohne Organisation geht es nicht. Mit Organisation geht es auch nicht.“ Diese prägnante Aussage spiegelt die duale Notwendigkeit wider, sowohl organisatorische Strukturen zu etablieren als auch Raum für spirituelle Erfahrungen zu schaffen.

Dabei ist absehbar, dass administrative Regelungs- und Effizienzansprüche mit prinzipieller Unverfügbarkeit spirituellen Geschehens kollidieren. Hierzu ein aktuelles Beispiel aus einem Beratungsprojekt: Der Pfarreirat hat schon länger den Wunsch einen Teil des Kirchraums für Familiengruppen umzugestalten. Spontan hat man über private Kontakte das dafür nötige Geld eingesammelt und möchte nun schnell den benachbarten Handwerker beauftragen. Der Verwaltungsrat erfährt davon erst bei seiner nächsten Sitzung und stoppt das Vorhaben zunächst, da die eingeworbenen Spenden erst korrekt zu verbuchen, der Brandschutz zu prüfen und eine Ausschreibung mit mindestens drei Handwerkern erforderlich sind.

Chancen durch Unterschiede

Trotz der Herausforderungen bieten sich auch Chancen, die aus den Unterschieden und der Notwendigkeit der Zusammenarbeit erwachsen. So ermöglicht beispielsweise eine gut organisierte Verwaltung, dass sich die Seelsorge auf ihre Kernaufgaben konzentrieren kann, ohne von administrativen Hürden ausgebremst zu werden. Neue Modelle wie das in der Erzdiözese Freiburg im Rahmen des „neuen Strukturmodells“ eingeführte dreiphasige Leitungssystem mit Pfarrer, Referent und Pfarreiökonom können dazu beitragen, dass die Verantwortung auf mehrere Schultern verteilt wird und beide Bereiche ihre Stärken optimal entfalten können.

Auch liegt gerade in der Differenz auch eine Chance: Wenn es gelingt, diese Spannung produktiv zu nutzen, kann das Gesamtsystem der Kirchengemeinde gestärkt werden. Denn die Vermittlung dieser widersprüchlichen Anforderungen, befördert die Entwicklung innovativer seelsorgerischer Praktiken, welche das Transzendente in der heutigen Welt präsent halten und für die Menschen erfahrbar machen. Dazu ein aktuelles Beispiel aus einem Beratungsprojekt: Gesang hat eine lange Tradition im Kirchenkreis. Jede Kirchengemeinde hat einen eigenen Chor und so war es lange Brauch den jährlichen Chorausflug getrennt voneinander durchzuführen. Doch in den letzten Jahren wurde es zunehmend schwerer Nachwuchs zu finden. Auch sinken perspektivisch die finanziellen Mittel der Gemeinden, was die Verwaltung zum Sparen zwingt.  Nach anfänglichen Protesten entschied man sich die Chorfahrt zukünftig für den Kirchenkreis gemeinsam durchzuführen und das dabei gesparte Geld (z.B. nur noch einen Bus) in einen innovativen Projektchor zu investieren, wodurch sich neue Interessenten meldeten.

Lösungsansätze für ein effektives Miteinander

Eine erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen Seelsorge und Verwaltung in Kirchengemeinden erfordert gezielte Maßnahmen. Dazu gehört die Einrichtung von Schnittstellenpositionen, die als Brückenbauer zwischen beiden Bereichen wirken, wozu insbesondere die Rolle eines Verwaltungsleiters dienen kann. Oder auch regelmäßige übergreifende Besprechungen, zum Beispiel in Form einer Leitungsrunde zwischen den leitenden Pfarrer, Einrichtungsleitungen, den Kirchenpflegern der Pfarrei und der Verwaltungsleitung. Hier können anstehende Vorhaben priorisiert und nach verwaltungstechnischen und seelsorgerischen Anforderungen gemeinsam geplant werden. Auch können gemeinsame Projektteams aus Verwaltungsmitarbeiter und Seelsorgepersonal den Dialog zwischen den beiden Bereichen fördern und helfen, gegenseitiges Verständnis aufzubauen und innovative Angebote zu schaffen, welche sich auch in der Realität realisieren lassen.

Auf kommunikativer Ebene sind transparente Entscheidungsprozesse essenziell. So sollten Verwaltungsentscheidungen klar kommuniziert werden, um sicherzustellen, dass die seelsorgerischen Anliegen ausreichend berücksichtigt wurden und verwaltungstechnische Anforderungen zu erklären, damit diese nicht als „Gängelung“ empfunden werden. Auch können Weiterbildungen zum gegenseitigen Verständnis oder die Schaffung eines bereichsübergreifenden Glossars dabei helfen, bestehende Kommunikationsbarrieren abzubauen.

Strukturell kann die Entwicklung eines gemeinsamen Leitbildes, das sowohl administrative als auch seelsorgerische Ziele integriert, eine starke Basis für Zusammenarbeit schaffen. Auch ein Qualitätsmanagement, das seelsorgerische Aspekte berücksichtigt, trägt dazu bei, eine inhaltliche Verzahnung zu unterstützen.

Nicht zu unterschätzen sind zudem gemeinschaftsbildende Aktivitäten. So können z.B. gemeinsame Gebetszeiten für Mitarbeiter aus Verwaltung und Seelsorge das Gemeinschaftsgefühl stärken.

Ein Resümee

Zusammengefasst zeigt sich, dass das erfolgreiche Zusammenspiel von Verwaltung und Seelsorge nicht nur machbar, sondern notwendig ist, um die Zukunft von Kirchengemeinden auch in sich verändernden Strukturen zu sichern. Durch strukturierte Maßnahmen und eine Kultur gegenseitiger Wertschätzung, können beide Bereiche gleichwertig zum Gelingen eines lebendigen Gemeindelebens beitragen. Die Integration ermöglicht es, sowohl administrative Anforderungen als auch seelsorgerische Freiheit in Einklang zu bringen und fördert dabei gleichzeitig eine einzigartige Position von Kirche in der Gesellschaft. Gerade in Zeiten des Wandels bleibt die zentrale Herausforderung bestehen, diese Beziehung zu pflegen und zu vertiefen, um den gemeinsamen Auftrag in einer sich ständig verändernden Welt mit Leben zu füllen.

Dieser Beitrag ist erschienen in der Newsletter-Ausgabe 03/2024 vom 10.10.2024.

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Steffen Hesping

Steffen Hesping begleitet als Senior-Berater Kirchengemeinden und -verbände bei der Neustrukturierung ihrer Verwaltung. Als Wirtschaftsingenieur interessiert ihn dabei die Kombination aus sozialwissenschaftlicher und analytischer Herangehensweise. Hierbei erachte er die soziologische Systemtheorie als sehr hilfreich.