Religiöse Bildung in konfessionellen Kitas als Trägeraufgabe
Träger von Kindertageseinrichtungen stehen zurzeit vor vielen komplexen Herausforderungen: die Unterfinanzierung des Kita-Systems, der gravierende Personal- und Fachkräftemangel, Auswirkungen von Flucht und Migration und vielen mehr. Für die evangelischen und katholischen Träger der etwa 18.000 konfessionellen Kitas in Deutschland kommt zudem die Gretchenfrage nach der Religion hinzu. Diese stellt sich angesichts von tiefgreifenden gesellschaftlichen Veränderungen, die sich in den Kitas zeigen: der Erosion des christlichen Glaubens, der Abnahme der Kirchenbindungen und der Zunahme der religiösen Vielfalt.
Konfessionelle Kitas nehmen den gesellschaftlichen Auftrag von Erziehung, Bildung und Betreuung in christlicher Verantwortung wahr und sind aus diesem Selbstverständnis heraus offen für alle Kinder und Familien. Die Anzahl muslimischer oder andersgläubiger Kinder sowie von Kindern aus Familien ohne religiöses Bekenntnis hat in den letzten Jahren deutlich zugenommen, so dass evangelische und katholische Kitas als multireligiöse und multikulturelle Orte beschrieben werden können. Die herausfordernde Frage nach Religion stellt sich vor diesem Hintergrund drängender, da das spezifische Profil christlich-religiöser Erziehung und Bildung zunehmend an Selbstverständlichkeit verliert.
Grundlegend für das Nachdenken über Religion in Kitas ist das Recht des Kindes auf Religion. Es wird ebenso wie die freie Religionsausübung als Menschenrecht durch die UN-Kinderrechtskonvention geschützt. Dieses Recht eines jeden Kindes zu gewähren und zu schützen, ist Aufgabe jeder Kita – unabhängig davon, ob sie einem Träger der freien oder der öffentlichen Kinder- und Jugendhilfe angehört. In den Bildungs- und Orientierungsplänen der Bundesländer wird dies deutlich formuliert, auch wenn nicht alle Pläne Religion als eigenen Bildungsbereich verstehen. Evangelischen und katholischen Kitas, für die das Christentum die relevante Bezugsreligion ist, fällt es in der Regel leichter als nicht-konfessionellen Einrichtungen, die Vorgaben dieses Bildungsbereichs umzusetzen. Die Herausforderungen für sie bestehen aber zum einen darin, Kindern einen religiösen Weltzugang zu ermöglichen, ohne sie zu vereinnahmen und stattdessen ihre Mündigkeit zu fördern. Zum anderen benötigen die pädagogischen Fachkräfte religionspädagogische Konzepte, die die multireligiöse Situation aufgreifen und gestalten.
Die Frage nach Religion ist für Kita-Träger nicht nur im Blick auf die religiöse Vielfalt der Kinder und Familien relevant, sondern auch im Blick auf die pädagogischen Fachkräfte, deren religiöse Einstellungen und Bindungen an den christlichen Glauben und die Kirchen sich ebenfalls verändert haben. Auf der einen Seite wird es angesichts des Fachkräftemangels immer schwieriger, christlich identifizierte Erzieher:innen zu finden und zu binden, auf der anderen Seite wird der Anspruch an ihr religiöses Wissen und ihre Kompetenzen immer höher.
Obwohl zuvorderst der Kita-Träger für die Gewährleistung und Sicherstellung eines qualitäts- und bedarfsorientierten Angebots verantwortlich ist, wird die Frage des (religions-)pädagogischen Profils einer Einrichtung häufig nur an die Kita-Leitung und die pädagogischen Fachkräfte gerichtet. Die Einrichtungskonzeption unterliegt jedoch der Gesamtverantwortung des Trägers – und somit auch die Qualitätssicherung im Umgang mit Religion in der Kita. Auch wenn einfache Antworten auf die vielfältigen Fragen nach Religion nicht zu erwarten sind, müssen sich konfessionelle Kita-Träger mit dieser Herausforderung auseinandersetzen. In Beratungsprozessen der 2denare GmbH zur Zukunft von Kitas ist es uns ein Anliegen, nicht nur die drängenden Verwaltungsfragen, sondern auch relevante inhaltliche Profilfragen aufzugreifen. Werden Verwaltung und Inhalt zusammengedacht, kann dies zu einer weiterführenden Auseinandersetzung mit dem Verständnis und dem Sinn und Zweck einer christlichen Kita-Trägerschaft im multireligiösen Umfeld beitragen.
Wie kann das Verständnis einer christlichen Kita in einer säkularen und multireligiösen Gesellschaft so weiterentwickelt werden, dass es der religiösen Vielfalt von Kindern, Eltern und Fachkräften gerecht wird? Und wie kann dennoch das spezifisch christliche Kita-Profil bewahrt bleiben? In der Suche nach Antworten auf diese drängenden Fragen ist ein Perspektivwechsel, der ausgehend von entwicklungspsychologischen Erkenntnissen in der Elementarpädagogik vollzogen wurde, von wegweisender Bedeutung: Anstelle eines eher defizitorientierten Blicks auf das Kind mit dem Fokus, was das Kind alles zu lernen hat, wird der Fokus auf die Kompetenzen und Interessen der Kinder gelegt. Für Religion in der Kita bedeutet dies, dass die Erfahrungen, Erlebnisse und Fragen des Kindes Ausgangspunkt für religiöse Bildungsprozesse sind – und nicht vorrangig die Vermittlung von Glaubensinhalten. Dieser Perspektivwechsel zum Kind hat grundlegende Auswirkungen auf die pädagogische Arbeit der Fachkräfte in der Kita. Er bedeutet auch eine Entlastung, da religiöse Entwicklung von den Fragen und Themen des Kindes ausgeht und nicht (mehr) von den Intentionen der Erzieher:innen oder des Kita-Trägers.
Für Kita-Träger, die sich mit den oben genannten Fragen auseinandersetzen, bietet sich das Konzept der religionssensiblen Bildung an, das in der Jugendhilfe entstanden ist und mittlerweile eine große Aufmerksamkeit in konfessionellen Kitas erhalten hat. Der Begriff der Religionssensibilität drückt die Empfindungsfähigkeit des Menschen für Religion und die Feinfühligkeit für religiöse Erfahrungen aus. In der religionssensiblen Bildung wird davon ausgegangen, dass sich religiöse Themen nicht nur in der expliziten Suche nach Gott oder in den Aussagen von religiösen Festen zeigen, sondern auch in allgemeinen Fragen des Lebens nach Sinn und nach Werten, die alltäglich erfahrbar sind. Dies schließt relevante Fragen nach Gut und Böse, nach Gerechtigkeit, Leben und Tod mit ein. Wird religiöse Bildung in Kitas religionssensibel praktiziert, steht das Kind mit seinen existentiellen und alltäglichen Erfahrungen – seiner Freude und Hoffnung, seinem Vertrauen, seiner Einsamkeit, seinen Sorgen und Ängste – im Mittelpunkt des pädagogischen Handelns. Diese werden von den pädagogischen Bezugspersonen sensibel wahrgenommen, wertgeschätzt, begleitet und religiös identifiziert. Diese alltägliche pädagogische Arbeit in der Kita, orientiert an den christlichen Normen und Werten der Einrichtung, kann als eine grundlegende, indirekte Form religiöser Bildung verstanden werden.
Das Konzept basiert auf einem dreistufigen Religionsbegriff (Existenz-, Transzendenz und Konfessionsglaube), der so differenziert sowohl für Kita-Verantwortliche als auch für pädagogische Fachkräfte die Möglichkeit bietet, das eigene Religionsverständnis zu reflektieren und zudem die religiöse Vielfalt sowohl der Kinder als auch im Team der Fachkräfte zu analysieren. Religionssensibilität wird zum Bestandteil der pädagogischen Arbeit, indem neben der impliziten religiösen Bildungsarbeit auch die explizite Religionspädagogik, z. B. das Feiern der religiösen Feste im Jahreskreis, ausgehend von den Themen und Bedürfnissen der Kinder und mit ihrer Beteiligung gestaltet wird. Christliche Kita-Trägerschaft realisiert sich mit dem Konzept der religionssensiblen Bildung als eine Trägerverantwortung, die religiöse Vielfalt willkommen heißt und sich auf eine lebensnahe Deutung und Gestaltung von Religion und christlich-religiöser Traditionen einlässt.