…oder: Geht nicht gibt’s nicht: Recht in der Strategieberatung
Das Schöne an Strategieprozessen ist, dass sie Gelegenheit bieten, groß zu denken. Ich darf und soll sogar den Blick weiten. Übersicht über die täglich zu bewältigenden, manchmal kleinteiligen Aufgaben einer Organisation gewinne ich, wenn mein Blick nicht aufs Detail, sondern auf die großen Linien gerichtet ist. Das große Ganze lässt sich erfassen, wenn ich einen Schritt zurücktrete. Aus diesem Blickwinkel lassen sich eine Vision und Strategische Ziele entwickeln, die die Organisation in die Zukunft führen.
In der Strategiearbeit entsteht Energie und Lust am Prozess, wenn keine Denkverbote herrschen.
Ein Bild zu schön für diese Welt?
Nicht selten entsteht der Anstoß für einen Strategieprozess aus einer Problemlage heraus: Kirchensteuern sinken, Mitarbeitende fehlen, KiTa-Finanzierung ist nicht auskömmlich … daraus ergibt sich die Notwendigkeit, sich darauf zu besinnen, wo man eigentlich hinwill und wie die Kräfte gut eingesetzt werden können. Durch diese notwendige Einbeziehung vorhandener und künftiger Ressourcen ist der weite Blick schon einmal eingeengt. Um Kreativität und Energie nicht unnötig zu bremsen, tut man gut daran, die Ressourcenperspektive nicht gleich zu Beginn eines Strategieprozesses zu groß werden zu lassen, sondern sie an geeigneter Stelle zu thematisieren.
Und dann ist da noch die Frage, die früher oder später immer auftaucht: Die Frage nach den juristischen Fallstricken, der rechtlichen Umsetzbarkeit der Maßnahmen, mit denen die Strategie unterlegt werden soll. Um diese Frage kommt man nicht herum. Es hängt von der Haltung ab – der eigenen und der des Beraters oder der Beraterin – ob man rechtliche Aspekte als lästig, störend, limitierend empfindet oder aber Chancen darin sieht, dass mit juristischen Werkzeugen Vieles gestaltbar ist und mit Leben gefüllt werden kann.
Richtig ist wichtig
Unbestreitbar ist, dass man mit Sorgfalt und Genauigkeit die rechtlichen Rahmenbedingungen einer grundsätzlichen strategischen Entscheidung abklopfen muss. Denn manches, was man übersehen hat, lässt sich im Nachhinein nur schwer wieder heilen.
Bei kirchlichen Organisationen kommt die anspruchsvolle Besonderheit hinzu, dass man sich in zwei unterschiedlichen Rechtskreisen bewegt, dem staatlichen und dem kirchlichen Recht. Diese Rechtskreise überlappen sich manchmal, so dass man staatliche und kirchliche Regeln nebeneinander anzuwenden hat, manchmal scheinen sie einander aber auch diametral entgegenzustehen oder weichen jedenfalls im Detail stark voneinander ab. Dann muss man zunächst die Frage beantworten, welches die im konkreten Fall relevante Regel ist. Ein Beispiel dafür sind die kirchlichen Datenschutzgesetze im Gegenüber zur Europäischen Datenschutzgrundverordnung.
Eine weitere Besonderheit: Gerade im kirchlichen Recht ist der Verbindlichkeitsgrad mancher Regeln nicht völlig eindeutig. Wie stark bindet eine Sollbestimmung wirklich? Was bedeutet es, wenn mit einem Gremium das Benehmen herzustellen ist – bin ich dann an das Votum gebunden oder nicht? Hier gilt es herauszufinden, wie weit der durch die Rechtslage eingeräumte Handlungsspielraum reicht.
Zu den Rahmenbedingungen, die bei grundlegenden Weichenstellungen über die Zukunft einer Organisation oder eines Arbeitsbereichs stets im Blick zu behalten sind, gehören u.a.
- Kirchenrechtliche Regelungen über die Entscheidungsstrukturen
Nicht immer ist den Beteiligten eines Strategieprozesses klar, wer was zu entscheiden hat. Braucht es eine Entscheidung der obersten Leitung, des Bischof auf katholischer, der Synode auf evangelischer Seite? Oder sind andere Entscheidungsgremien zuständig? Sind Funktionsträger*innen qua Amt oder Delegation entscheidungsbefugt? Hier muss man genau hinsehen, um Prozessschritte richtig setzen zu können.
- Kirchenrechtliche Regelungen über die Beteiligungsrechte von Mitarbeitenden [1]
Bei Strukturveränderungen sind in aller Regel Mitarbeitende mit ihren Aufgaben, Arbeitsbedingungen, Einsatzorten etc. betroffen. Das Mitarbeitervertretungsrecht sieht unterschiedlich starke Beteiligungsformen der Mitarbeitervertretungen vor, je nachdem, wie stark in die Belange von Mitarbeitenden eingegriffen wird. Diese Abstufungen auf der Skala zwischen bloßem Informationsrecht und „harter“ Zustimmung, ohne die eine Maßnahme nicht umgesetzt werden kann, muss man kennen und ernst nehmen. Auf die Einhaltung der vorgeschriebenen Formalia ist gewissenhaft zu achten. Und nicht zuletzt ist auf eine konstruktive Gesprächsatmosphäre mit der Mitarbeitervertretung Wert zu legen, um sich mit Rückenwind von dieser Seite neu auszurichten.
- Satzungsrechtliche Regelungen der kirchlichen oder öffentlichen Zusatzversorgungskassen
Oft unerwartet steht man bei Strukturveränderungen, geplanten Fusionen etc. vor einer Hürde, die nur schwer zu überspringen ist. Kirchliche Zusatzversorgungskassen genau wie die VBL [2] sehen einen Ausstieg erst einmal nicht vor. Das ist systemimmanent, da Altersversorgung langfristig angelegt ist und deren Finanzierung vor größeren Schwankungen geschützt sein muss. Hat man es aber mit mehreren Rechtsträgern zu tun, die ihre Mitarbeitenden in unterschiedlichen Kassen versichern, so wäre eine Zusammenführung in einer Kasse, verbunden mit einem Ausstieg aus der anderen, oftmals wünschenswert. Dies verursacht jedoch exorbitant hohe Kosten, die nur schwer aufgebracht werden können. Damit die Pläne nicht hieran scheitern, muss man die Problematik kennen und den Spielraum ausloten, den man hat, zugleich aber Alternativideen entwickeln.
- Staatliche Regelungen des Arbeitsrechts
Kommt es zur Gründung neuer Rechtsträger oder zu Zusammenschlüssen, in denen Mitarbeitende zu einem anderen Arbeitgeber wechseln sollen, so ist auf die Voraussetzungen und die Rechtsfolgen eines Betriebsübergangs (§ 613 a BGB) zu achten. Es gibt Fälle, da will man den Betriebsübergang, in dem alle Mitarbeitenden ihre Rechte und Pflichten behalten. In anderen Fällen würde man eine Strukturveränderung vielleicht gern nutzen, um den Mitarbeitendenbestand zu reduzieren. Hier ist genau zu prüfen, welches Ziel man verfolgt und welche Wege dafür beschritten werden müssen, um dieses Ziel zu erreichen.
Dasselbe gilt, wenn schmerzhafte Einschnitte, in denen es unvermeidbar ist, sich von Mitarbeitenden zu trennen, nötig werden. Dies ist nicht nur für alle Beteiligten menschlich schwierig, sondern auch mit der Notwendigkeit einer besonders sorgfältigen Prüfung der rechtlichen Möglichkeiten verbunden.
Geht nicht gibt’s nicht
Auch wenn der rechtliche Rahmen gesetzt ist und man an gewissen Pflöcken nicht vorbeikommt: Die Kirche genießt gegenüber vielen anderen Organisationen den Vorteil, dass der Staat ihr verfassungsrechtlich ein Selbstbestimmungsrecht einräumt. So besitzt sie in Vielem große Freiheit, ihre eigenen Angelegenheiten selbst zu gestalten. Eigene Wege sind erlaubt. Deshalb kann gerade bei der Neuausrichtung kirchlicher Arbeitsbereiche und Strukturen frei gedacht und (fast) alles juristisch sauber realisiert werden. Steht eine kirchliche Regelung entgegen, darf und soll man in die Überlegungen einbeziehen, ob diese noch für die veränderten Bedingungen passt – oder ob sie verändert oder aufgehoben werden sollte. Je nachdem auf welcher Ebene man sich bewegt – und unter den beiden großen christlichen Konfessionen in Nuancen unterschiedlich – sind Rechtsänderungen kein Tabu, sondern Gestaltungsinstrumente. Hier lässt sich gedanklich nach Herzenslust experimentieren, um eine Strategie zur Umsetzung zu bringen.
Wenn das Zielbild entwickelt ist, sind die Anschlussfragen: Was muss getan werden, um dies zu realisieren? Welche Rechtsformen unterstützen unser Handeln und welche eher nicht? Auf welche Konstruktionen in verwandten Rechtsordnungen kann ich zurückgreifen, um mein Gestaltungsziel zu erreichen? Wenn ich A so gestalte, was bedeutet das für B? Wenn ich hier eine Zuständigkeit verändere, einen Prozess verschlanke, wie wirkt sich das auf Arbeitsfähigkeit, Verantwortungsbewusstsein, Identität aus?
Der Blick auf juristische Themen sorgt in dieser Perspektive nicht nur für Klarheit, sondern setzt auch Kreativität und Gestaltungsfreude frei.
Recht in der Beratung
In diesem Sinne bewegt sich die Beschäftigung mit Recht in der Strategieberatung zwischen den beiden Polen „Richtig ist wichtig“ und „Geht nicht gibt’s nicht“. Mal ist das eine dran, mal das andere. Mal ist eher Expertenberatung, mal eher Prozessbegleitung gefragt. Eine gute Balance zwischen beiden bietet die Gewähr für eine solide, juristisch abgesicherte und gleichzeitig zukunftsweisende, motivierende Strategie.
Mein innerer Kompass dazu:
„Freie Entscheidung geschieht innerhalb bedingender innerer und äußerer Grenzen. Erweiterung dieser Grenzen ist möglich.“ (Ruth C. Cohn)
[1] In manchen Einrichtungen der Caritas oder der Diakonie kommt auch- nicht immer in Einklang mit den Satzungen der kirchlichen Wohlfahrtsverbände – staatliches Betriebsverfassungsrecht zur Anwendung.
[2] Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder
Dieser Beitrag ist erschienen in der Newsletter-Ausgabe 03/2024 vom 10.10.2024.