Die Bedeutung von Personalabteilungen in kirchlichen Organisationen hat in den letzten Jahren deutlich zugenommen. Neben Personalverwaltung sind heute insbesondere die Bereiche der Personalgewinnung und -entwicklung von großer Relevanz. Gerade in Zeiten des Personal- und Fachkräftemangels zeigt sich zudem, dass Personalauswahlverfahren viele Vorteile für kirchliche Organisationen haben können.
Es ist noch nicht allzu lange her, da gab es Personalauswahlverfahren mit Bewerbungen im Stil von: „Hiermit bewerbe ich mich auf die ausgeschriebene Stelle XYZ. Mit freundlichen Grüßen“. Auf beiden Seiten war mehr nicht nötig: Das Unternehmen wählte nach mehr oder weniger festen Kriterien aus wie Betriebszugehörigkeit, Familienstand, vielleicht Noten in bestimmten Fächern oder Beurteilungen. Und die Bewerberinnen oder Bewerber mussten ihre Fähigkeiten nicht darlegen oder gar ihre Motivation beschreiben.
Zunehmend wurde Personalauswahl in ihrer Bedeutung aber stärker wertgeschätzt. Man könnte fast sagen, dass die „Win-Win-Situation“ deutlicher wurde: Je besser jemand zu einer Stelle passt, desto mehr profitierten Stelleninhaber*in UND Unternehmen. Der Slogan griff Raum: Der richtige Mitarbeiter / die richtige Mitarbeiterin am richtigen Platz.
Die Personalabteilungen wuchsen, neben der Personalverwaltung bekamen HR-Strategie, Personalentwicklung, aber eben auch die Personalauswahl einen festen Platz, den sie heute – zu Recht – haben. Am Markt profitierten davon Autor*innen von Literatur zum Thema, Anbietende von Fortbildungen wie „Assessmentcenter konzipieren“ oder Recruitingagenturen. Unternehmen entwickelten Strategien für Personalmarketing und Corporate Designs für Ausschreibungen. Und auf der anderen Seite übertreffen sich Bewerber*innen im Layout ihrer Unterlagen und in der Qualität ihrer Fotos.
Aber die Geschichte geht noch weiter: Mittlerweile spricht man von einem Arbeitnehmer*innenmarkt. Belege dafür gibt es genug: Ausgeschriebene Stellen sind nicht zu besetzten. Führungskräfte, auch und gerade in den Kirchen, sprechen davon, dass es eine ihrer größten Herausforderungen ist, neue und qualifizierte Mitarbeitende zu finden. Wenn man auf bestimmte Bereiche schaut, zeichnet sich schon jetzt ab, dass das gewünschte Angebot nicht aufrecht zu halten ist, weil die Fachkräfte fehlen.
Muss man nun in dieser Situation „jede Bewerberin oder jeden Bewerber nehmen“? Unsere Einschätzung ist: NEIN!
Unsere Erfahrung zeigt, dass Personalauswahlverfahren zumindest ein Hebel sind, die Situation zu verändern. Und dabei geht es nicht nur um die Kosten einer Fehlentscheidung bei der Personalauswahl. Das ist bekannt: Je nach Einsatzgebiet und Hierarchieebene werden bei einer unpassenden Personalauswahl nicht nur die Arbeitsergebnisse leiden, sondern auch das Team. Kosten für eine neue Ausschreibung, Neubesetzung, nochmalige Einarbeitung, vielleicht sogar Prozesskosten können dazukommen.
Auf der anderen Seite gilt: Qualität in der Auswahl zahlt sich aus! Gerade, wenn Bewerber*innen knapp sind, ist es umso wichtiger, die Richtige / den Richtigen für eine ausgeschriebene Stelle mit höherer Sicherheit zu finden.
Was kann das konkret heißen?
- Den Bedarf klären: Es ist hilfreich und sinnvoll, schon vor dem eigentlichen Personalauswahlverfahren in den Prozess zu investieren und folgende Fragen zu klären:
- Was fehlt eigentlich, wenn diese Stelle nicht besetzt ist?
- Passt diese Stelle zu unserer Idee von Zukunft? Wie sieht die Strategie aus?
- Was könnte sich (noch?) (anders?) entwickeln?
- Was braucht es in dem Team? Wen braucht es dort?
- Was sind – und das ist eine der wichtigsten Fragen! – die Ziele dieser Stelle? Und welche Ergebnisse soll sie bringen?
- Was macht bei dieser Stelle schwer, sie wahrzunehmen? Was hindert ihren Erfolg.
- Die Anforderungen beschreiben: Aus den Zielen der Stelle ergeben sich Aufgaben, am besten reduziert: maximal 2 bis 3 Ziele und 5 bis 8 Aufgaben. Und für diese Aufgaben lassen sich Anforderungen beschreiben.
- Was muss jemand wissen: welche Fähigkeiten und Fertigkeiten, welche Fachlichkeit braucht die Person? Welche davon müssen schon da sein? Welche können erworben werden?
- Was muss jemand können: welche Potenziale braucht man für die Stelle? Welche Persönlichkeit sollte jemand mitbringen?
- Was sollte jemand wollen: was sind ihre / seine Motive, Werte und Bedürfnisse?
- Die Auswahl konkret planen
Wenn der Bedarf geklärt und die Anforderungen beschrieben sind, ist der Weg zu planen:- Wie wollen wir suchen?
- Welche Tools nutzen wir für die Sortierung und Auswahl?
- Wer muss wie in die Personalentscheidung eingebunden werden?
- Und wie führen wir die neue Mitarbeiterin/den neuen Mitarbeiter dann ein?
Und wie für Personalauswahlverfahren als Ganzes die „Veränderung“ ein stetiges Element ist, so gilt es auch für die Anforderungen. Für die Weiterentwicklung von Organisationen sind es spannende Fragen, ob Flexibilität an vielen Stellen nicht wichtiger geworden ist als Verbindlichkeit, Teamfähigkeit an die Stelle von Durchsetzungsfähigkeit tritt, Netzwerken der Expertise vorgezogen wird und Lernfähigkeit die Berufserfahrung ersetzt.
Jeder einzelne genannte Punkt hätte mehr verdient als einen Newsletter Artikel. Und Material, Instrumente und Literatur gibt es genug: Excelvorlagen für die Auswahl, Kriterien für die Bewertung der Unterlagen, Gesprächsleitfäden für die ersten Telefoninterviews, Trainings für Beobachter*innen in Auswahlverfahren, Rollenspielmaterial und Sammlungen für Konzeptaufgaben.
Vor diesem Hintergrund verwundert es, dass in Deutschland die Persönlichkeits- und Intelligenztests noch immer eine im internationalen Vergleich kleine Rolle spielen (Einsatz psychologischer Testverfahren in der Personalauswahl). Die Vorstellung, dass das Bewerbungsgespräch allein reichen könnte, dürfte eigentlich überholt sein.
Wie auch immer: jede Überlegung, die in die Besetzung einer Stelle investiert wird, ist aus unserer Sicht gut eingesetzt! Personalauswahlverfahren sind mehr als ein Instrument: Sie sind Ausdruck einer Organisationskultur. Gute Personalauswahl ist ein Zeichen von strategisch ausgerichteten Organisationen, in denen Mitarbeitende wertgeschätzt sind. Und bei denen sie dann gerne arbeiten!
Dieser Beitrag ist erschienen in der Newsletter-Ausgabe 03/2024 vom 10.10.2024.