Ohne Ehrenamt fehlt der Kirche das Herz: Menschen gestalten das Gemeindeleben, übernehmen Verantwortung und schaffen Gemeinschaft. Doch Engagement braucht heute Flexibilität, Unterstützung und Sichtbarkeit. Wie gelingt es, Menschen langfristig fürs Ehrenamt zu begeistern?
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Ehrenamt ist heute ein wichtiger Bestandteil der Kirchen. Ohne engagierte Menschen wären viele Angebote und Dienste gar nicht denkbar. Wer würde den Gemeindebrief verfassen, sich in Räten engagieren oder Jugendarbeit anbieten? In einer Zeit, in der sich die Kirchen schwindender Mitgliederzahlen gegenübersehen und damit auch die finanziellen Mittel geringer werden, muss es eine Perspektive sein, kirchliche Arbeit verstärkt auf ehrenamtlicher Basis aufzubauen. Doch nicht nur aus finanzieller Perspektive ist ehrenamtliches Engagement wichtig, denn die Kirchen waren schon immer Orte, an denen sich die Gläubigen engagieren konnten.
Das Ehrenamt ist keine exklusive Aufgabe der Kirchen. Auch auf gesamtgesellschaftlicher Ebene bringen sich Menschen ein. So schreibt das Bundesministerium des Inneren und für Heimat, dass sich in Deutschland 28,8 Millionen Menschen ehrenamtlich engagieren würden und sich die Zahl seit 1999 um 10 Prozent gesteigert habe. Besonders in Krisenzeiten, wie dem Beginn des Ukraine-Krieges, nehmen Menschen das Bedürfnis zu helfen wahr und engagieren sich in ehrenamtlichen Tätigkeitsbereichen. Ein starkes Symbol für eine Gesellschaft, die vermeintlich immer egoistischer wird, und auch für die Kirchen ein motivierender Faktor. Wenn Engagierte in ihrer Leistung wahrgenommen und unterstützt werden, besteht hier ein großes Potenzial, um einen Schritt hin zu Kirchen zu machen, die weniger aus Hauptamtlichen, sondern mehr aus ehrenamtlich Engagierten bestehen. Hinzu kommt, dass laut einer Studie der Evangelischen Kirche in Deutschland Menschen, die sich als kirchlich-religiös definieren, deutlich häufiger ein Ehrenamt ausüben als Menschen aus einem säkularen Umfeld. Auch dies ein positives Signal für die Kirchen. Gläubige möchten Verantwortung übernehmen und sich mit ihren Fähigkeiten einbringen.
Eine Herausforderung, welcher sich die Kirchen in Deutschland stellen müssen, ist die Bindung an ein Angebot. Das Ehrenamt hat sich verändert. Menschen, die sich ehrenamtlich engagieren möchten, suchen heutzutage nach Angeboten, die sich ihren Lebensrealitäten flexibel anpassen können. Es müssen Tätigkeiten sein, die wenig Zeit in Anspruch nehmen und sich gut in den Alltag integrieren lassen. Es muss also weniger von zu erledigenden Aufgaben gedacht und so von einem Struktur- zu einem Individualdenken übergegangen werden. Zudem ist zu beachten, dass unter Jugendlichen die Bereitschaft zu ehrenamtlichem Engagement abnimmt. Dies lässt sich nicht auf gesunkene Empathie oder ein geringeres Verantwortungsbewusstsein für gesellschaftliche Aufgaben zurückführen, sondern vielmehr auf eine gestiegene räumliche Mobilität und die Verringerung zeitlicher Freiräume. Wege, Jugendliche an ehrenamtliche Angebote der Kirchen zu binden, sind aktuell bereits eine wichtige Aufgabe und werden perspektivisch eine noch wichtigere. Dafür ist es essenziell, dass es bereits Jugendliche in den Organisationen gibt, denn hierüber kann eine Gemeinschaft entstehen, in welcher sich weitere Jugendliche engagieren möchten. Wenn die ehrenamtlichen Bereiche durch bestimmte Altersgruppen oder soziale Hintergründe geprägt sind, zieht dies jene Gruppen auch wieder an. Wichtig für die Bindung und die Begleitung von Ehrenamtlichen ist es sich klarzumachen, was die Engagierten von ihrer Arbeit haben. Was ist der Nutzen, der ganz persönlich aus solch einer Form der Tätigkeit hervorgeht? Ehrenamtliche Tätigkeiten sollten deshalb keine unangenehme Aufgabe sein, auf die niemand Lust hat, sondern immer mit den Faktoren Spaß, dem Ausleben von Fähigkeiten und dem Schaffen eines Mehrwerts verbunden sein.
Ein weiterer nicht zu unterschätzender Faktor für die Gewinnung von ehrenamtlich Tätigen ist Vernetzungsarbeit wie bspw. Ehrenamtsportale. Über diesen Weg kann ein Überblick über unterschiedliche Angebote geschaffen werden, aus denen das passende ausgewählt werden kann.
Ein Prinzip des Ehrenamtes ist es, dass dieses eine unentgeltliche Leistung darstellt. Dies bedeutet aber nicht, dass finanzielle Förderungen ausbleiben sollten. Vielmehr ist es an dieser Stelle noch wichtiger, unkomplizierte Möglichkeiten zur Förderung zu schaffen. Kostenlose oder zumindest geförderte Weiterbildungen oder die Verfügbarkeit von Materialien sind nicht nur eine Unterstützung der ehrenamtlichen Arbeit, sondern gleichzeitig Symbole der Anerkennung. Ehrenamt zu befähigen bedeutet, diese Menschen und ihre Leistungen in den Vordergrund zu stellen, auch wenn koordinierende oder leitende Aufgaben bei den Hauptamtlichen liegen.
Beispiele für ehrenamtliches Engagement im Rahmen der Kirchen gibt es viele. Seien es die Betreuung von Jugendgruppen, die Mitarbeit bei der Telefonseelsorge oder die Unterstützung von Lebensmittelabgaben an bedürftige Menschen. Weitere Beispiele von kirchlichem Ehrenamt und die Unterstützung, die hierbei nötig ist, sind über das Bonifatiuswerk zu finden. Die Bereiche sind so vielschichtig wie die beteiligten Menschen und ihre unterschiedlichen Interessen.
Doch wie sieht es mit der Rolle von Hauptamtlichen aus, wenn das Ehrenamt stärker in den Fokus rückt. Können die Kirchen auf Hauptamtliche in der Pastoral oder im Verwaltungsbereich verzichten?
Nein, denn bestimmte Bereiche müssen von Hauptamtlichen umgesetzt werden, da ehrenamtlich Engagierte die Komplexität und Vielfalt dieser Aufgaben nicht übernehmen können, da entweder der Zeitaufwand zu groß oder die benötigte Expertise zu hoch ist. Außerdem kommt den Hauptamtlichen die Aufgabe zu, die Ehrenamtlichen zu begleiten und für ihre Aufgaben zu befähigen. Das Bistum Münster schreibt hierzu: „Verlässliche Begleitung bedeutet, dass freiwillig Engagierte feste Ansprechpersonen haben, die für ihre Fragen, Sorgen und Anregungen zur Verfügung stehen, Zeit für sie haben und auskunftsfähig sind.“ Die Engagierten benötigen einen Rahmen, in welchem sie wirken können.
Eine Gefahr, die in der Arbeit mit Ehrenamtlichen liegt, ist, dass es zu einer Überforderung dieser Menschen kommen kann. Menschen, die sich engagieren, brauchen den Rückhalt, die Unterstützung und auch die Anerkennung des Hauptamtes. Aufgaben müssen hinsichtlich ihres Aufwands geprüft und mit niedrigen Hürden einstiegsgerecht vorbereitet werden. Wichtig ist es, die Unterscheidung zwischen Ehren- und Hauptamt nicht auf die Professionalität zu reduzieren. So sind Ehrenamtliche nicht selten professioneller als die Hauptamtlichen in ihrem Ehrenamtsbereich, da sie die dazu nötigen Fähigkeiten in ihrem Beruf erworben haben.
Was ist nun eine Perspektive für ehrenamtliche Arbeit in den Kirchen? Es bleibt eine zentrale Aufgabe, Menschen für ehrenamtliche Tätigkeiten zu begeistern. Dies ist eine Aufgabe für hauptamtlich Tätige, die ihren Tätigkeitsbereich stärker auf das Befähigen Ehrenamtlicher ausweiten müssen. Nicht zu unterschätzen ist die Strahlkraft, die bereits ehrenamtlich Engagierte auf mögliche Interessierte ausüben. Eine möglichst diverse Basis zieht Menschen aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Zusammenhängen an und kann so ehrenamtliche Ressourcen aus unterschiedlichen Hintergründen motivieren. Zudem muss das Ehrenamt finanziell gefördert werden, da dies nicht nur die Arbeit ermöglicht, sondern auch Wertschätzung ausdrückt. Arbeit mit Ehrenamtlichen bleibt ein komplexes Arbeitsfeld, in welchem viele verschiedene Bedürfnisse wahrgenommen werden müssen. Dass das nicht immer einfach ist, liegt auf der Hand, aber es lohnt sich, sich dafür einzusetzen.