Für ein Bistum oder eine Landeskirche – Einordnungen, Erfahrungswerte, Einzelschritte und Erfolgsfaktoren
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Wenn man bildhaft zeigen möchte, wie Digitalisierung eine Veränderung mit sich bringt, dann kann man die beiden Bilder der ersten Auftritte der jeweils neugewählten Päpste Benedikt XVI. in 2005 und Franziskus 2013 gegenüberstellen. 2005 leuchtete vor allem der Petersdom, aber 2013 waren anders als bei Benedikt die leuchtenden Smartphone-Bildschirme die bestimmende Lichtquelle im römischen Abend.1

Gut zehn Jahre später ist ein neuer Bildschirm hinzugekommen, den es damals so nicht gab und der heute für viele kirchlich Beschäftigte Alltag geworden ist: Der Bildschirm der Videotelefonie, der über Corona Einzug hielt und geblieben ist.2

Viel wird darüber geschrieben und diskutiert, was die digitale Transformation für die Kirche, die Seelsorge oder andere kirchliche Zusammenhänge bedeutet. Es gibt Forschungsprojekte, Symposien und etliche Fachgruppen die die Zukunft solch einer digital transformierten Kirche in den Blick nehmen. Es ist immanent wichtig, vorzudenken, welche Chancen, Risiken und Veränderungsnotwendigkeiten sich ergeben.
Für eine digitale Transformation braucht es erst einmal eine Digitalisierung
Aber solche Visionen und Zukunftsbilder brauchen ein notwendiges Fundament: Grundlage für eine digitale Transformation ist erst einmal eine Digitalisierung. Es geht hier nicht um Wortklauberei, sondern um eine wichtige Differenzierung: Digitalisierung bedeutet, analoge Prozesse, Kommunikationswege und Inhalte digital abzubilden – mehr erst einmal nicht.3 Aber ohne Digitalisierung keine digitale Transformation, ein Schritt nach dem anderen: „Die digitale Transformation setzt die Digitalisierung zwar als Bedingung voraus, geht aber als Konzept einige Schritte weiter.“, so George Westermann von MIT.4
Genauso wichtig, wie eine perspektivische digitale Transformation vorzudenken ist es entsprechend, die akut nächsten Schritte einer Digitalisierung zu planen. Am Beispiel eines Bistums oder einer Landeskirche können die beiden Themen und den jeweils dazugehörigen konkreten Fragen vereinfacht nebeneinander gestellt werden:

Auf der linken Seite zeigen sich die Themen, die im Rahmen der fortlaufenden Digitalisierung aktuell anzugehen sind. Rechts sind Fragen aufgeführt, die sich für die digitale Transformation stellen.
Die Digitalisierung ist aktuell in vollem Gange. Damit diese in einer großen Organisation wie einem Bistum oder einer Landeskirche gut vorangeht, sind ständig Entscheidungen zu treffen: Über Prozesse, Programme, Piloten etc. All diese müssen aufeinander abgestimmt sein. Dazu braucht es eine Digitalisierungsstrategie.
Designprinzipien schaffen Orientierung für Einzelfragen
Eine Digitalisierungsstrategie (oder synonym Digitalstrategie) ist kein Kochrezept, das im Detail vorgibt, welch nächster Schritt folgen muss. Die Praxis hat gezeigt, dass am hilfreichsten die Formulierung eines strategischen Orientierungsrahmen ist, an dem dann alle anstehenden Einzelentscheidungen zukünftig ausgerichtet werden müssen. Das Bistum Trier hat in dem Sinne in seiner Digitalisierungsstrategie 12 Designprinzipien formuliert, die leitend sind.5 Diese Designprinzipien ergaben sich aus den individuellen Bedarfen und offenen Fragen:

Mit Designprinzipien wird eine Verbindung zwischen konkreten Einzelfragen, die entschieden werden müssen, und einer grundsätzlichen Zielrichtung hergestellt:

Eine Digitalisierungsstrategie soll Orientierung schaffen bei der Beantwortung von Einzelfragen der Digitalisierung – dazu werden leitende Kriterien („Designprinzipien“) formuliert – umso konkreter diese sind, um so klarer sind Strategie und Orientierung. Denn ersichtlich ist, dass die Entscheidungen fast nie direkt abgeleitet werden können, sondern Abwägeentscheidungen sind, in denen mehrere durch Kriterien beschriebene Ansprüche gegeneinander abgewogen werden.
Es lohnt sich, dieser „banalen“ Digitalisierungsstrategie Aufmerksamkeit zu schenken und sich nicht davon irritieren zu lassen, dass die weitreichenderen Themen der digitalen Transformation dort ja gar nicht behandelt werden. Aber ohne die Grundlage geht es nicht, auch wenn das Visionäre spannender wirkt. Und so manch visionäre Arbeitsgruppe erscheint dann doch etwas abgehoben.
Eine Digitalisierungsstrategie fußt auf einer IT-Strategie
Zurecht mag man einwenden, dass die beschriebenen Inhalte einer Digitalisierungsstrategie doch eigentlich oft Fragen betreffen, die zur IT-Strategie gehören. Und diese sollen hier doch wiederum nur die Grundlage sein, wie Definitionen zeigen: „Die IT-Strategie zielt hingegen darauf ab, Technologie unabhängig von Geschäftsabläufen zu transformieren. Üblicherweise soll im Rahmen der IT-Strategie bestimmt werden, in welche Technologien auf der Grundlage der aktuellen Unternehmensausrichtung investiert werden soll. Die digitale Strategie betrachtet dagegen die Aktivitäten und Prozesse, die transformiert werden müssen, um Kunden einen besseren Service zu bieten. Sie sucht nach der richtigen Kombination von Technologien und Strategien, um diese Erlebnisse zu schaffen.“6
Unsere Erfahrung zeigt aber, dass rein faktisch viele genuine IT-Fragen – also im Wortsinne „technische“ Fragen, für ein Bistum oder eine Landeskirche auch grundsätzliche Bedeutung haben. Es gibt z. B. viele Gründe dafür, Office 365 von Microsoft zu nutzen und zur zentralen Kommunikations- und Datenaustauschplattform in einer Landeskirche zu machen (Funktionalität, Schnittstellen, Bekanntheit etc.), gleichzeitig gibt es auch viele Gründe, die dagegen sprechen (Datenschutz, Monopolabhängigkeit, Kosten etc.) und praktisch auch „Zwischenlösungen“. Diese Frage ist eine grundlegende Digitalisierungsfragen und gehört – falls noch nicht entschieden – in eine Digitalisierungsstrategie. Genauso wäre eine Einführung einer SAP-Software solch eine Grundsatzfrage.
Dazu kommt, dass man bisweilen bei der Entwicklung einer Digitalisierungsstrategie auf offene IT-Fragen stößt, die zwingend mitbeantwortet werden. Ein Verweis auf die Unterschiedlichkeit von IT- und Digitalisierungsstrategie hilft da nicht weiter, um voranzukommen. Es braucht Antworten. Die folgende These aus dem Jahr 2018 hat für die Kirchen nicht an Gültigkeit verloren: „Welche Rolle haben IT-Abteilungen in Zukunft? IT-Abteilungen haben sich durch Cloud Services, gehostete und intelligente Applikationen in den letzten Jahren aus dem Zentrum der Unternehmensrelevanz in eine Randposition manövriert. Im Kontext einer Digitalisierungsstrategie, die Kern und Rahmen der Organisationsstrategie ist, sollte sich dies wieder ändern.“7
Man kann eine Digitalisierungsstrategie für ein Bistum oder eine Landeskirche entwickeln, ohne festlegen zu müssen, wie eine digitale Transformation die Gestalt von Kirche oder das Wesen von Seelsorge verändert. Man kann aber keine Digitalisierungsstrategie entwickeln, wenn grundlegende IT-Fragen ungeklärt bleiben.
Anforderungen an eine Digitalisierungsstrategie – es braucht Unterstützung und Abstimmung
Man kann zudem keine sinnvolle Digitalisierungsstrategie entwickeln, wenn es kein gemeinsames Verständnis über verschiedene Prämissen gibt:
- Wenn Digitalisierung als Option betrachtet wird, bei der man sich realistisch auch dagegen entscheiden könnte, braucht es wohl eine Grundsatzklärung zur Stellung der Kirche in der Welt und unter den Menschen.
- Wenn man den Veränderungen, die sich zwangsläufig mit einer Digitalisierung ergeben, nicht die nötige Aufmerksamkeit schenkt, werden sich viele Steine in den Weg legen, über die man stolpern und zurückfallen wird.
- Wer meint, dass man auf einem Schlag direkt einen Endzustand von Digitalisierung erreichen kann, überfordert sich entweder maßlos oder gibt sich mit viel zu wenig zufrieden.
- Und wer meint, dass eine einsame Leitungsentscheidung nötig oder hilfreich ist, verkennt den Wert, sich strategisch mit anderen abgestimmt zu haben.

Insbesondere der letzte Punkt ist spezifisch wichtig für Bistümer und Landeskirchen: Es gibt zum einen „das Bistum“ oder „die Landeskirche“ als eine einzelne Körperschaft. Dazu gehören aber jeweils eine Vielzahl an anderen Organisationseinheiten, die – ob rechtlich selbst- oder unselbstständig – zugehörig und eng vernetzt sind. Zu einem Bistum gehören eine Vielzahl an Pfarreien, oftmals auch eigenständige Verwaltungsdienststellen, Verbände mit engen Verknüpfungen ins Ordinariat, zugeordnete Kita-Träger, ggfs. eine Schulstiftung, Tochtergesellschaften mit Bildungsdienstleistern oder ein Caritas-Verband. Auf evangelischer Seite sieht die Landschaft ähnlich aus. Um all das zu erfassen, bietet es sich an, von der „Kirche im Bistum X“ zu sprechen. Im Idealfall gilt die Digitalisierungsstrategie nicht nur für die Bistums-KdöR, sondern für alle dazugehörigen und relevanten Organisationen.
Da es in einem Bistum oder einer Landeskirche zumeist nur eine zentrale IT-Abteilung gibt, die alle Organisationen IT-technisch betreut, kann es auch nur eine IT-Strategie geben. Faktisch ist aber in der Realität an manchen Stellen ein ungewollter und unkoordinierter „Wildwuchs“ zu sehen, was Software- und Hardware-Einsatz angeht. Wenn man dagegen angehen will, kann das über entsprechende Kriteriensetzungen in der IT-Strategie erreicht werden – falls nötig müssend diese Punkte auch in einer Digitalisierungsstrategie festgehalten werden, wenn sie nicht in einer IT-Strategie Eingang finden können. Solch Grundlagenfragen sollten einheitlich für alle relevanten Organisationen festgelegt werden. Erfahrungsgemäß ist es hierfür hilfreich, auch Vertreter/innen der verschiedenen Organisationen am Entwicklungsprozess der Digitalisierungsstrategie zu beteiligen, um deren organisationsspezifischen Bedarf berücksichtigen zu können und die Chance zu erhöhen, dass die Strategie später auch eingehalten wird.
In der Zusammenarbeit mit den verschiedenen Organisationen zeigt sich dann, dass es viel wichtiger ist, dass es eine Abstimmung bei Grundlagenfragen in Richtung IT-Strategie, als eine Abstimmung bei Perspektivfragen in Richtung Digitale Transformation gibt. Eine Hard- und Software-Ausstattung sollte einheitlich sein, auch die Einbindung der verschiedenen Ehrenamtlichen oder die Frage, welchen Stellenwert digitale gegenüber Papier-Prozessabläufen haben.
Fragen zur Digitalen Transformation sind dann aber wieder sehr organisations- bzw. bereichsspezifisch und sollten individuell beantwortet werden, dort braucht es diese übergreifende Zusammenarbeit auf Ebene der Landeskirche oder Diözese nicht, sondern andere Abstimmungskreise. Beispielfragen wären hierzu: „Wie verändert die Digitale Transformation die Bildungsziele an unseren evangelischen Schulen?“, „Welche digitalen Gottesdienstformen werden sich ergeben und sollen gefördert werden?“
Dazu kommt: Weder muss jedes Bistum und jede Landeskirche das (Digitalisierungs-)Rad neu erfinden, noch sollten zu viele unterschiedliche Räder im Gebrauch sein, die nicht miteinander kompatibel sind. Daher sind bistums- oder landeskirchlich übergreifende Abstimmungen sehr wichtig. Die erwähnte Digitalisierungsstrategie des Bistums Trier zum Beispiel ist im Kreise von Fachleuten aller Diözesen beraten worden.
Entwicklung einer Digitalisierungsstrategie – so kann es gehen
Gibt es ein gemeinsames Verständnis über die vier Punkte, kann ein Prozess zur Entwicklung einer Digitalisierungsstrategie begonnen werden. Als Beispiel kann folgendes Projektvorgehen gewählt werden: Im Mittelpunkt steht eine fachlich gut besetzte Arbeitsgruppe, die für einen übergeordneten Lenkungsausschuss Beschlussvorschläge entwickelt. Die Arbeitsgruppe trifft sich circa sechs Mal und bindet nach Bedarf Expert/innen ein. Der gesamte Prozess dauert ca. ein halbes Jahr.

Geht es auch ohne Strategie? Selbstverständlich! Aber dadurch bleiben all die Einzelfragen, die zu entscheiden sind und jedes Mal steht man orientierungslos da. Vielleicht hat man implizit eine Orientierung und wahrscheinlich unausgesprochen auch eine Strategie. Wenn dem so ist, dann empfiehlt es sich, diese zu verschriftlichen und verbindlich zu machen, damit sie gemeinschaftlich Orientierung schafft.

