NEWSLETTER-BEITRAG

Bremsen und Gas geben? – Gleichzeitigkeit in Veränderungsprozessen gestalten

Bremsen und Gas geben? – Gleichzeitigkeit in Veränderungsprozessen gestalten

„Kann es gut gehen, gleichzeitig auf die Bremse und aufs Gaspedal zu treten?“ fragte vor einiger Zeit ein Bischof in einer Prozess-Arbeitsgruppe. Das Bistum stand – wie so viele kirchliche Organisationen im Moment – vor der Herausforderung, sparen zu müssen und dennoch den eigenen christlichen Auftrag in neuen Formen auch in Zukunft zu leben. Bremsen und Gas geben – kann es funktionieren, einerseits der Notwendigkeit des Sparens gerecht zu werden und andererseits pastoral innovativ zu sein?

Diese zwei Grundfragen prägen wohl jeden kirchlichen Entscheidungsprozess in Zeiten knapper werden Ressourcen. Einerseits ist (fast) allen Akteuren klar, dass die finanziell „fetten“ Jahre vorbei sind und der Gürtel enger geschnallt werden muss. Andererseits will keine kirchliche Organisation einfach blind sparen, sondern nach inhaltlichen Gesichtspunkten entscheiden, ja im besten Fall sogar im gleichen Prozess Neu-Aufbrüche ermöglichen. Diese Spannung zieht sich durch viele der Spar-, Strategie- und Restrukturierungsprozesse, die wir als Beratungsunternehmen 2denare in den letzten Jahren begleitet haben. Steht am Anfang oft der Optimismus, dass ein Strategieprozess bei aller Sparnotwendigkeit vielleicht auch lange überfällige Reformen beschleunigen kann, wird oft im Prozessverlauf deutlich, dass auch lieb Gewonnenes oder sogar Identitätsstiftendes aufgrund der Einsparnotwendigkeiten aufgegeben werden muss.

Unter der Überschrift „Beziehungsstatus kompliziert …? Entscheidungskriterien in Veränderungsprozessen“ haben meine Kollegin Dr. Claudia Kolf-van Melis und ich unsere Erfahrungen und Überlegungen zusammengestellt, wie Prozesse gestaltet werden können, die beiden Perspektiven gerecht werden. Er ist im Magazins euangel der katholischen Arbeitsstelle für missionarische Pastoral in Erfurt erschienen, das im ersten Halbjahr 2024 einen Schwerpunkt auf „Wachsen und Schrumpfen“ legt. Unserer Erfahrung nach hilft es, sich zunächst einmal die Bedeutung solcher Prozesse klarzumachen. Bistumsprozesse – um bei einem katholischen Beispiel zu bleiben – werden (und brauchen) die Kirchen nicht zu retten. Es ist eine große Überforderung, in einem solchen Prozess die Zukunft der Kirche definieren zu wollen. Vielmehr sollen sie die Möglichkeitsbedingungen vor Ort dafür sichern, dass auch morgen noch Gottesdienste, Seelsorge, Bildung & Erziehung etc. möglich sind. Oder vereinfach gesagt, es geht nicht um das Wie der Zukunft, sondern um das Ob. Oder um im Bild zu sprechen: nicht um die konkrete Gestalt, sondern um das Material, aus dem sich die Gestalt dann vielfältig formt.

Natürlich braucht es dazu auch pastoral reflektierte Überlegungen. Wir empfehlen daher dialogisch-induktiv vorzugehen und sich eher auf formale Wegweiser zu einigen. Dialogisch-induktiv meint, nicht allgemeine Prinzipien aufzustellen, aus denen sich dann konkrete Maßnahmen ableiten lassen – was so in Reinform in der kirchlichen Wirklichkeit ohnehin kaum funktioniert. Es meint, in den entsprechenden Projektgruppen oder Gremien gemeinsam konkrete Zukunftsperspektiven und Szenarien zu entwickeln und sich davon ausgehend zu fragen, welchen Kriterien diese Szenarien genügen sollten. Solche Kriterien sind dann eher formale Wegweiser wie Stärkenorientierung, Alleinstellung, Nachhaltigkeit, Zukunftsoffenheit etc. Sie nehmen bewusst keine Entscheidungen ab, sondern weiten den Denkhorizont der handelnden Personen und Gremien, in dem sie beispielsweise auf blinde Flecken hinweisen.

„Kann es gut gehen, gleichzeitig auf die Bremse und aufs Gaspedal zu treten?“ Bei einem Auto geht das sicher nicht gleichzeitig. Aber die Kirche als ein lebendiger Organismus kann sich gleichzeitig an der einen Stelle reduzieren und an einer anderen Stelle wachsen.

P.S.: Wo es solche Wachstumsinseln schon gibt, beschäftigt meine Kollegen Prof. Thomas de Nocker und Lukas Landen in einem Beitrag der aktuellen Ausgabe des Anzeiger für die Seelsorge. Diese Wachstumsinseln werden mehr und mehr das Bild von Kirche prägen. Gerade diese seien im Vergleich zu schrumpfenden und aus dem Blickfeld geratenen Bereichen zu fördern: mit Freiheit zur Innovation und ausreichenden Ressourcen.

Den Original-Artikel der im Anzeiger für die Seelsorge finden Sie auch hier und können ihn auf Anfrage gerne über uns beziehen

Dieser Artikel erschien in der Newsletter-Ausgabe 02/2024 vom 26. Juni 2024

2denare-team-mn
Max Niehoff

Max Niehoff hat Theologie und Wirtschaft studiert und bei Caritas und Kirche gearbeitet. Als Senior-Berater bei 2denare hat er mehrere Sparprozesse begleitet, unter anderem den Haushaltssicherungsprozess im Bistum Magdeburg sowie den Prozess Zukunft sichern! der Diözese Linz. Daneben arbeitet er an einer Promotion im Grenzbereich von Wirtschaft und Kirche, ist Lehrbeauftragter der KatHO NRW und engagiert sich in einem Kirchenvorstand.